Nanoelektronik lernt wie das Gehirn

June 23, 2020
©Dresdner Universitätsjournal

Vor allem Aufgaben aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz verlangen stetig nach leistungsfähigeren und da- bei gleichzeitig sparsameren Computerchips, um beispielsweise Robotern das Laufen zu lehren oder präzise automatische Bilderkennung zu ermöglichen. Während die Optimierung herkömmlicher Mikroelektronik immer näher an ihre Grenzen kommt, zeigt die Natur am Beispiel des Gehirns, wie sich Informationen schnell und energieeffizient verarbeiten und speichern lassen. Wissenschaftlern der TU Dresden und des HZDR ist es jetzt erstmals gelungen, die Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachzuahmen. Ihre Forschungsergebnisse haben sie im Fachmagazin »Nature Electronics« veröffentlicht. Die heute gängige Methode, um die Leistungsfähigkeit von Mikroelektronik weiter zu erhöhen, liegt in der Verkleinerung der Komponenten, insbesondere der einzelnen Transistoren auf den Computerchips aus Silizium. »Das geht aber nicht unendlich«, sagt Larysa Baraban. Die Physikerin, die seit sechs Monaten am HZDR arbeitet, ist eine der drei Leading Scientists der internationalen Studie, an der insgesamt sechs Institute beteiligt waren. »Es müssen neue Ansätze her. Einer davon orientiert sich am Gehirn und verbindet Datenverarbeitung mit Datenspeicherung in einem künstlichen Neuron. Unsere Gruppe hat viel Erfahrung mit biologischen und chemischen elektronischen Sensoren. Deshalb haben wir die Eigenschaften der Neuronen mit den Prinzipien von Biosensoren simuliert und einen klassischen Feldeffekttransistor so verändert, dass ein künstlicher Neurotransistor entsteht.« Der Vorteil einer solchen Architektur liegt gerade in der gleichzeitigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen in ein und demselben Bauelement. Denn diese ist bei herkömmlicher Transistortechnik getrennt, was der Verarbeitungszeit und damit letztendlich auch der Leistungsfähigkeit Grenzen setzt. Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist dabei nicht neu. Bereits vor Jahrzehnten gab es schon Versuche, Nervenzellen in der Petrischa- le mit Elektronik zu verbinden. »Aber niemand braucht einen nassen Compu- terchip, der regelmäßig gefüttert werden muss«, sagt Prof. Gianaurelio Cuniberti, Leiter des Instituts für Materialwissenschaften und einer der drei geistigen Väter des Neurotransistors. Die anderen beiden sind Ronald Tetzlaff, Professor für Grundlagen der Elektrotechnik an der TU Dresden und Leon Chua, Professor an der University of California in Berkeley. »Vor vier Jahren trafen Leon Chua, Ronald Tetzlaff und ich uns in der Villa Marie in Dresden«, beschreibt Prof. Cuniberti die Geburtsstunde des Neurotransistors. »Chua, der bereits Anfang der 70er-Jahre ähnliche Bauelemente postulierte, schlug vor, vollkommen neuartige elektronische Bauelemente und Strukturen innerhalb der Materialforschung zu entwickeln.« Das haben Prof. Cuniberti, Larysa Baraban und ihr Team getan: »Wir brin- gen eine zähflüssige Substanz – Solgel genannt – auf einen herkömmlichen Siliziumwafer mit den Schaltungen auf. Dieses Polymer härtet aus und wird zu einer porösen Keramik«, erklärt der Professor für Materialwissenschaft. »Zwi- schen den Löchern bewegen sich Ionen. Sie sind schwerer als Elektronen und springen nach einer Anregung langsamer auf ihre Position zurück. Diese Verzögerung nennt man Hysterese und die ist für den Speichereffekt verantwortlich.« Das hat entscheidenden Einfluss auf die Funktionsweise, erklärt Prof. Cuniberti weiter. »Je stärker der einzelne Transistor angeregt wird, umso eher öffnet er und lässt den Strom fließen. Damit verstärkt sich die entsprechende Verbindung. Das System lernt.« Prof. Cuniberti und sein Team zielen dabei weniger auf herkömmliche Problemstellungen ab. »Computer auf Basis unseres Chips wären weniger präzise und würden mathematische Berechnungen eher schätzen als bis in die letzte Nachkommastelle zu berechnen«, erklärt der Wissenschaftler. »Aber sie wären intelligenter. Ein Roboter würde damit beispielsweise laufen oder greifen lernen, ein optisches System besitzen und Zusammenhänge erkennen lernen. Und das alles, ohne Software entwickeln zu müssen.« (Autor: Kai Dürfeld)



Aus dem Dresdner UniversitätsJournal 12/2020. Original article
© Dresdner UniversitätsJournal 2020

Nanoelektronik lernt wie das Gehirn

June 23, 2020
©Dresdner Universitätsjournal

Vor allem Aufgaben aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz verlangen stetig nach leistungsfähigeren und da- bei gleichzeitig sparsameren Computerchips, um beispielsweise Robotern das Laufen zu lehren oder präzise automatische Bilderkennung zu ermöglichen. Während die Optimierung herkömmlicher Mikroelektronik immer näher an ihre Grenzen kommt, zeigt die Natur am Beispiel des Gehirns, wie sich Informationen schnell und energieeffizient verarbeiten und speichern lassen. Wissenschaftlern der TU Dresden und des HZDR ist es jetzt erstmals gelungen, die Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachzuahmen. Ihre Forschungsergebnisse haben sie im Fachmagazin »Nature Electronics« veröffentlicht. Die heute gängige Methode, um die Leistungsfähigkeit von Mikroelektronik weiter zu erhöhen, liegt in der Verkleinerung der Komponenten, insbesondere der einzelnen Transistoren auf den Computerchips aus Silizium. »Das geht aber nicht unendlich«, sagt Larysa Baraban. Die Physikerin, die seit sechs Monaten am HZDR arbeitet, ist eine der drei Leading Scientists der internationalen Studie, an der insgesamt sechs Institute beteiligt waren. »Es müssen neue Ansätze her. Einer davon orientiert sich am Gehirn und verbindet Datenverarbeitung mit Datenspeicherung in einem künstlichen Neuron. Unsere Gruppe hat viel Erfahrung mit biologischen und chemischen elektronischen Sensoren. Deshalb haben wir die Eigenschaften der Neuronen mit den Prinzipien von Biosensoren simuliert und einen klassischen Feldeffekttransistor so verändert, dass ein künstlicher Neurotransistor entsteht.« Der Vorteil einer solchen Architektur liegt gerade in der gleichzeitigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen in ein und demselben Bauelement. Denn diese ist bei herkömmlicher Transistortechnik getrennt, was der Verarbeitungszeit und damit letztendlich auch der Leistungsfähigkeit Grenzen setzt. Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist dabei nicht neu. Bereits vor Jahrzehnten gab es schon Versuche, Nervenzellen in der Petrischa- le mit Elektronik zu verbinden. »Aber niemand braucht einen nassen Compu- terchip, der regelmäßig gefüttert werden muss«, sagt Prof. Gianaurelio Cuniberti, Leiter des Instituts für Materialwissenschaften und einer der drei geistigen Väter des Neurotransistors. Die anderen beiden sind Ronald Tetzlaff, Professor für Grundlagen der Elektrotechnik an der TU Dresden und Leon Chua, Professor an der University of California in Berkeley. »Vor vier Jahren trafen Leon Chua, Ronald Tetzlaff und ich uns in der Villa Marie in Dresden«, beschreibt Prof. Cuniberti die Geburtsstunde des Neurotransistors. »Chua, der bereits Anfang der 70er-Jahre ähnliche Bauelemente postulierte, schlug vor, vollkommen neuartige elektronische Bauelemente und Strukturen innerhalb der Materialforschung zu entwickeln.« Das haben Prof. Cuniberti, Larysa Baraban und ihr Team getan: »Wir brin- gen eine zähflüssige Substanz – Solgel genannt – auf einen herkömmlichen Siliziumwafer mit den Schaltungen auf. Dieses Polymer härtet aus und wird zu einer porösen Keramik«, erklärt der Professor für Materialwissenschaft. »Zwi- schen den Löchern bewegen sich Ionen. Sie sind schwerer als Elektronen und springen nach einer Anregung langsamer auf ihre Position zurück. Diese Verzögerung nennt man Hysterese und die ist für den Speichereffekt verantwortlich.« Das hat entscheidenden Einfluss auf die Funktionsweise, erklärt Prof. Cuniberti weiter. »Je stärker der einzelne Transistor angeregt wird, umso eher öffnet er und lässt den Strom fließen. Damit verstärkt sich die entsprechende Verbindung. Das System lernt.« Prof. Cuniberti und sein Team zielen dabei weniger auf herkömmliche Problemstellungen ab. »Computer auf Basis unseres Chips wären weniger präzise und würden mathematische Berechnungen eher schätzen als bis in die letzte Nachkommastelle zu berechnen«, erklärt der Wissenschaftler. »Aber sie wären intelligenter. Ein Roboter würde damit beispielsweise laufen oder greifen lernen, ein optisches System besitzen und Zusammenhänge erkennen lernen. Und das alles, ohne Software entwickeln zu müssen.« (Autor: Kai Dürfeld)



Aus dem Dresdner UniversitätsJournal 12/2020. Original article
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