Wie Marmelade über dem Molekül

March 8, 2007
©Technology Review (German Edition)

Technology Review (German Edition) has featured our truly nanoscale switch device. Responsible for the signal is a photoreactive single molecule.


08.03.07

"Wie Marmelade über dem Molekül"

Von Edda Grabar

Bild 1 [180 x 180 Pixel @ 59,4 KB]
Bild: F. Stadler.

Wie wäre es wohl, wenn nicht mehr konventionelle Transistoren, sondern winzige organische Moleküle den Prozessor brummen lassen? ,,Darauf wird man noch warten müssen``, sagt Gianaurelio ,,Giovanni`` Cuniberti. Der Fachmann für Theoretische Physik an der Universität Regensburg taucht Tag für Tag in eine Welt, die noch irgendwie unmöglich erscheint. Erst Ende 2005 hat er ein Buch über Molekulare Elektronik mit Kollegen herausgebracht. Nun fanden er und seine Mitarbeiter tatsächlich ein Molekül, dass Elektronen leiten oder blockieren kann -- und veröffentlichten ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology (M. del Valle, R. Gutiérrez, C. Tejedor, and G. Cuniberti. "Tuning the conductance of a molecular switch", Nature Nanotechnology 2, 176 (2007). doi: 10.1038/nnano.2007.38[1]). Im Interview mit Technology Review erklärt er, warum Moleküle die Grundlage moderner Elektronik bilden können.

TR: Herr Cuniberti, was hat ein Molekül-Schalter in einem Computer zu suchen?

Cuniberti: Um ehrlich zu sein, bislang noch gar nichts. Alle Prozessoren laufen hübsch mit konventionellen Halbleitern. Doch das könnte sich bald ändern. Bei großen IT-Firmen wird längst über das so genannte Molecular Computing nachgedacht und geforscht.

TR: Moleküle lassen sich viel schwieriger in den Griff bekommen als winzige Leitungen. Warum tut man sich das an?

Cuniberti: Die Antwort ist einfach: Leistungsdruck. Rechner müssen immer mehr Informationen verarbeiten. Das Moore'sche Gesetz, benannt nach dem Gründer und früheren Vorstand von Intel, Gordon Moore, besagt, dass sich alle zwei Jahre die Geschwindigkeit von Prozessoren verdoppelt, während sich ihre Größe gleichzeitig halbiert. Nun stoßen wir langsam an unsere Grenzen. Die kleinsten Halbleitertransistoren sind etwa 90 Nanometer groß. Das ist schon ziemlich klein.

TR: Computer berechnen heute hochkomplexe Klimadaten. Mehrere hundert Gigabyte im Handyformat sind längst keine Vision mehr. Braucht man tatsächlich immer mehr Leistung?

Cuniberti: Schauen Sie sich die historische Entwicklung an. Im Prinzip waren bereits die Webmaschinen um die vorletzte Jahrhundertwende große, kantige Computer. Rein über Mechanik haben sie komplizierte Arbeiten vollbracht. Anschließend folgten die Vakuumröhren, die aber zum Beispiel in Gitarrenverstärkern ab einem gewissen Pegel grausige Nebengeräusche verursachten. Ein echter Fortschritt kam mit den integrierten Halbleitertransistoren, die in heutigen CPUs die Rechenarbeit übernehmen. Auf Englisch bezeichnet man diese Entwicklung als Topdown-Prozess. Die Japaner haben es vor Hunderten von Jahren mit den Bonsaibäumen vorgemacht: Sie haben sich die großen Bäume zum Vorbild genommen und so lange beschnitten, bis sie im Miniaturformat wuchsen. Nun aber geht es kaum noch kleiner, und wir müssen umdenken und den umgekehrten Weg im Bottom-Up-Prozess gehen.

TR: Und wieder größer werden?

Cuniberti: Nicht größer, sondern komplexer. Sehen Sie, Moleküle sind nur wenige Nanometer groß, aber sie haben die Fähigkeit, sich zu komplexen Netzwerken zusammenzufinden. Der erste Schritt ist aber, die kleinste funktionelle Einheit, aus der die Rechner aufgebaut sind, zu ersetzen.

TR: Sie haben in der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology einen der wohl kleinsten molekularen Stromschalter beschrieben.

Cuniberti: Richtig. Azobenzol ist ein großartiges Molekül. Es ist nur einen Nanometer klein und kann Strom sowohl leiten, als auch blockieren.

TR: Was ist der Trick?

Cuniberti: Azobenzol ist ein aromatisches Molekül, bestehend aus zwei Ringen von jeweils sechs Kohlenstoffatomen, die über eine Stickstoffgruppe verbunden sind. Die Elektronen sind dabei nicht starr am Ort der dazugehörigen Atome lokalisiert, sondern über das ganze Molekül verteilt – ganz als wäre Marmelade auf dem Molekül. Setzt man so ein Molekül zwischen Kohlenstoffnanoröhrchen, können die so verteilten Elektronen den Strom von der einen zur anderen Seite leiten. Azobenzol hat aber noch eine andere faszinierende Eigenschaft: Bestrahlt man es kurz mit Licht – in diesem Fall Laserlicht – dann kann es seine Form verändern – und die Elektronen sind nicht mehr zusammenhängend über das ganze Molekül verteilt. Damit verliert Azobenzol seine leitenden Eigenschaften. Man kann das mit einer Brücke vergleichen. Solange die Elektronen über das ganze Molekül verteilt sind, bildet es für den Strom die Brücke über den Fluss. Bricht das Laserlicht diesen marmeladenartigen Zustand, sieht man nur noch Bruchstücke dieser Brücke aus dem Wasser ragen, man kann sie jedoch nicht mehr überqueren. Das ist wirklich cool.

TR: Sie haben das theoretisch berechnet. Funktioniert es denn auch tatsächlich?

Cuniberti: Dies wird gerade in Deutschland versucht. Simone Lingitz aus der Arbeitsgruppe von Alexander Holleitner am Center for Nanoscience (CeNS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitet derzeit an einem Chip für solche Photo-Switch-Experimente. Allerdings hängt der Stromfluss derartiger Photo-Switches von mehreren Faktoren ab.

TR: ... die da wären?

Cuniberti: Die Struktur der Objekte, zwischen die das Molekül gesetzt wird: die Nanoröhrchen. Sie sind wie die gute Zigarre zusammengerollt. Nur dass es sich nicht um Tabakblätter, sondern um winzige Graphenblättchen handelt, den Bausteinen für Graphit. Sie sehen aus wie Bienenwaben, und in jeder Ecke der Wabenstruktur sitzt ein Kohlenstoffatom. Obwohl der Aufbau der Nanoröhrchen grundsätzlich derselbe ist, können sie sich in Feinheiten unterscheiden, die die Leitfähigkeit erheblich beeinflussen. Jetzt versteht man endlich die große Variabilität der Ergebnisse. Das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit, und eine zentrale Schlussfolgerung der Doktorarbeit meiner Mitarbeiterin Miriam del Valle.

TR: Und wann wird der erste Computer aus Nanoröhren und Molekülen fertig?

Cuniberti: Oh, ich weiß es wirklich nicht. Aber das Ziel ist vielfältiger als unser Konstrukt. Das war nur ein erster Schritt. Vielleicht haben wir in 30 Jahren Netzwerke aus Molekülen, die sich sogar dreidimensional zusammensetzen – und so eine noch höhere Komplexität erreichen. Komplexität, die Schritt für Schritt auf der atomare Skala, von ,,Bottom``, aufgebaut wird. Sind wir, Lebewesen, letztendlich etwas anders? Wir müssen uns immer mehr ein Beispiel an der Natur nehmen.

(wst[2]/Technology Review)

URL dieses Artikels:
  http://www.heise.de/tr/artikel/86367

Links in diesem Artikel:
  [1] http://dx.doi.org/10.1038/nnano.2007.38
  [2] mailto:wst@tr.heise.de

Wie Marmelade über dem Molekül

March 8, 2007
©Technology Review (German Edition)

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08.03.07

"Wie Marmelade über dem Molekül"

Von Edda Grabar

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Bild: F. Stadler.

Wie wäre es wohl, wenn nicht mehr konventionelle Transistoren, sondern winzige organische Moleküle den Prozessor brummen lassen? ,,Darauf wird man noch warten müssen``, sagt Gianaurelio ,,Giovanni`` Cuniberti. Der Fachmann für Theoretische Physik an der Universität Regensburg taucht Tag für Tag in eine Welt, die noch irgendwie unmöglich erscheint. Erst Ende 2005 hat er ein Buch über Molekulare Elektronik mit Kollegen herausgebracht. Nun fanden er und seine Mitarbeiter tatsächlich ein Molekül, dass Elektronen leiten oder blockieren kann -- und veröffentlichten ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology (M. del Valle, R. Gutiérrez, C. Tejedor, and G. Cuniberti. "Tuning the conductance of a molecular switch", Nature Nanotechnology 2, 176 (2007). doi: 10.1038/nnano.2007.38[1]). Im Interview mit Technology Review erklärt er, warum Moleküle die Grundlage moderner Elektronik bilden können.

TR: Herr Cuniberti, was hat ein Molekül-Schalter in einem Computer zu suchen?

Cuniberti: Um ehrlich zu sein, bislang noch gar nichts. Alle Prozessoren laufen hübsch mit konventionellen Halbleitern. Doch das könnte sich bald ändern. Bei großen IT-Firmen wird längst über das so genannte Molecular Computing nachgedacht und geforscht.

TR: Moleküle lassen sich viel schwieriger in den Griff bekommen als winzige Leitungen. Warum tut man sich das an?

Cuniberti: Die Antwort ist einfach: Leistungsdruck. Rechner müssen immer mehr Informationen verarbeiten. Das Moore'sche Gesetz, benannt nach dem Gründer und früheren Vorstand von Intel, Gordon Moore, besagt, dass sich alle zwei Jahre die Geschwindigkeit von Prozessoren verdoppelt, während sich ihre Größe gleichzeitig halbiert. Nun stoßen wir langsam an unsere Grenzen. Die kleinsten Halbleitertransistoren sind etwa 90 Nanometer groß. Das ist schon ziemlich klein.

TR: Computer berechnen heute hochkomplexe Klimadaten. Mehrere hundert Gigabyte im Handyformat sind längst keine Vision mehr. Braucht man tatsächlich immer mehr Leistung?

Cuniberti: Schauen Sie sich die historische Entwicklung an. Im Prinzip waren bereits die Webmaschinen um die vorletzte Jahrhundertwende große, kantige Computer. Rein über Mechanik haben sie komplizierte Arbeiten vollbracht. Anschließend folgten die Vakuumröhren, die aber zum Beispiel in Gitarrenverstärkern ab einem gewissen Pegel grausige Nebengeräusche verursachten. Ein echter Fortschritt kam mit den integrierten Halbleitertransistoren, die in heutigen CPUs die Rechenarbeit übernehmen. Auf Englisch bezeichnet man diese Entwicklung als Topdown-Prozess. Die Japaner haben es vor Hunderten von Jahren mit den Bonsaibäumen vorgemacht: Sie haben sich die großen Bäume zum Vorbild genommen und so lange beschnitten, bis sie im Miniaturformat wuchsen. Nun aber geht es kaum noch kleiner, und wir müssen umdenken und den umgekehrten Weg im Bottom-Up-Prozess gehen.

TR: Und wieder größer werden?

Cuniberti: Nicht größer, sondern komplexer. Sehen Sie, Moleküle sind nur wenige Nanometer groß, aber sie haben die Fähigkeit, sich zu komplexen Netzwerken zusammenzufinden. Der erste Schritt ist aber, die kleinste funktionelle Einheit, aus der die Rechner aufgebaut sind, zu ersetzen.

TR: Sie haben in der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology einen der wohl kleinsten molekularen Stromschalter beschrieben.

Cuniberti: Richtig. Azobenzol ist ein großartiges Molekül. Es ist nur einen Nanometer klein und kann Strom sowohl leiten, als auch blockieren.

TR: Was ist der Trick?

Cuniberti: Azobenzol ist ein aromatisches Molekül, bestehend aus zwei Ringen von jeweils sechs Kohlenstoffatomen, die über eine Stickstoffgruppe verbunden sind. Die Elektronen sind dabei nicht starr am Ort der dazugehörigen Atome lokalisiert, sondern über das ganze Molekül verteilt – ganz als wäre Marmelade auf dem Molekül. Setzt man so ein Molekül zwischen Kohlenstoffnanoröhrchen, können die so verteilten Elektronen den Strom von der einen zur anderen Seite leiten. Azobenzol hat aber noch eine andere faszinierende Eigenschaft: Bestrahlt man es kurz mit Licht – in diesem Fall Laserlicht – dann kann es seine Form verändern – und die Elektronen sind nicht mehr zusammenhängend über das ganze Molekül verteilt. Damit verliert Azobenzol seine leitenden Eigenschaften. Man kann das mit einer Brücke vergleichen. Solange die Elektronen über das ganze Molekül verteilt sind, bildet es für den Strom die Brücke über den Fluss. Bricht das Laserlicht diesen marmeladenartigen Zustand, sieht man nur noch Bruchstücke dieser Brücke aus dem Wasser ragen, man kann sie jedoch nicht mehr überqueren. Das ist wirklich cool.

TR: Sie haben das theoretisch berechnet. Funktioniert es denn auch tatsächlich?

Cuniberti: Dies wird gerade in Deutschland versucht. Simone Lingitz aus der Arbeitsgruppe von Alexander Holleitner am Center for Nanoscience (CeNS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitet derzeit an einem Chip für solche Photo-Switch-Experimente. Allerdings hängt der Stromfluss derartiger Photo-Switches von mehreren Faktoren ab.

TR: ... die da wären?

Cuniberti: Die Struktur der Objekte, zwischen die das Molekül gesetzt wird: die Nanoröhrchen. Sie sind wie die gute Zigarre zusammengerollt. Nur dass es sich nicht um Tabakblätter, sondern um winzige Graphenblättchen handelt, den Bausteinen für Graphit. Sie sehen aus wie Bienenwaben, und in jeder Ecke der Wabenstruktur sitzt ein Kohlenstoffatom. Obwohl der Aufbau der Nanoröhrchen grundsätzlich derselbe ist, können sie sich in Feinheiten unterscheiden, die die Leitfähigkeit erheblich beeinflussen. Jetzt versteht man endlich die große Variabilität der Ergebnisse. Das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit, und eine zentrale Schlussfolgerung der Doktorarbeit meiner Mitarbeiterin Miriam del Valle.

TR: Und wann wird der erste Computer aus Nanoröhren und Molekülen fertig?

Cuniberti: Oh, ich weiß es wirklich nicht. Aber das Ziel ist vielfältiger als unser Konstrukt. Das war nur ein erster Schritt. Vielleicht haben wir in 30 Jahren Netzwerke aus Molekülen, die sich sogar dreidimensional zusammensetzen – und so eine noch höhere Komplexität erreichen. Komplexität, die Schritt für Schritt auf der atomare Skala, von ,,Bottom``, aufgebaut wird. Sind wir, Lebewesen, letztendlich etwas anders? Wir müssen uns immer mehr ein Beispiel an der Natur nehmen.

(wst[2]/Technology Review)

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  [2] mailto:wst@tr.heise.de